Aktiver Gehörschutz 2.0
09.12.2025
Aktiver Gehörschutz 2.0:Frequenzselektiver Lärmschutz im Kontext der Arbeitssicherheit
Lärm am Arbeitsplatz: Zwischen Hörschutz und Handlungsfähigkeit
In vielen Betrieben gehört Lärm zum Alltag: Maschinen, Werkzeuge, Druckluftanlagen oder fahrende Fahrzeuge erzeugen Pegel, die ohne geeignete Schutzmaßnahmen zu dauerhaften Hörschäden führen können. Aus Sicht der Arbeitssicherheit ist Gehörschutz daher unverzichtbar. Gleichzeitig zeigt die Praxis, dass klassischer, stark dämmender Gehörschutz häufig einen Zielkonflikt erzeugt: Beschäftigte sind zwar geschützt, fühlen sich aber akustisch isoliert, können schlechter kommunizieren und nehmen Warnsignale nur eingeschränkt wahr.
Für die Umsetzung des betrieblichen Arbeitsschutzes, die Gefährdungsbeurteilung und die Auswahl geeigneter Maßnahmen spielen Fachkräfte für Arbeitssicherheit eine zentrale Rolle. Sie bewerten Arbeitsplätze, ordnen Lärmbereiche ein und unterstützen bei der Auswahl von Gehörschutz. Damit rückt eine Frage zunehmend in den Mittelpunkt: Wie lassen sich wirksamer Lärmschutz, sichere Kommunikation und Akzeptanz der Beschäftigten miteinander verbinden?
Vom bloßen Dämmen zur gezielten Gestaltung der akustischen Umgebung
Traditionelle Gehörschützer folgen einem einfachen Prinzip: Alles wird leiser. Aus technischer Sicht kann das ausreichend sein, um bestimmte Grenzwerte zu erreichen. Aus arbeitsschutzfachlicher Perspektive stellt sich jedoch die Frage, ob diese Form des Lärmschutzes den Anforderungen moderner, komplexer Arbeitsumgebungen noch gerecht wird. Denn sobald Beschäftigte den Eindruck haben, „von der Außenwelt abgeschnitten“ zu sein, sinkt die Bereitschaft, den Gehörschutz dauerhaft und korrekt zu tragen.
Aktiver Gehörschutz setzt genau hier an. Systeme mit außenliegenden Mikrofonen nehmen die Umgebung auf, verarbeiten das Signal elektronisch und spielen es kontrolliert in die Kapsel zurück. Es entsteht eine Art akustisch gestaltete Umgebung: Schädliche Pegel werden begrenzt, während sicherheitsrelevante Informationen – Sprache, Warnsignale, Umgebungseindrücke – weiterhin wahrnehmbar bleiben. Für die Arbeitssicherheit eröffnet das neue Möglichkeiten: Gehörschutz wird vom reinen „Dämmprodukt“ zu einem gezielt einsetzbaren Element im Gesamtkonzept Lärmschutz.
Frequenzselektiver Gehörschutz: Sprache erhalten, Störlärm filtern
Unterschiedliche Anforderungen an unterschiedliche Frequenzen
Besonders interessant wird aktiver Gehörschutz, wenn er nicht nur pegelabhängig, sondern zusätzlich frequenzselektiv arbeitet. Dann entscheidet nicht mehr allein der Schalldruckpegel darüber, was durchgelassen wird, sondern auch die Frage, welche Frequenzanteile überhaupt erwünscht sind.
Sprache bewegt sich überwiegend im mittleren Frequenzbereich. Viele als extrem störend empfundene Geräusche – etwa das Kreischen von Kreissägen oder das Zischen und Pfeifen von Gasflaschen – sind dagegen stark im Hochfrequenzbereich ausgeprägt. Systeme, die bestimmte Frequenzbereiche gezielt reduzieren oder unterdrücken, ermöglichen es, diese aggressiven Lärmanteile herauszufiltern, ohne Sprache und grundlegende Umgebungsinformationen zu verlieren.
Praktische Wirkung in betrieblichen Lärmbereichen
In der betrieblichen Praxis führt dies dazu, dass Beschäftigte ihre Kolleginnen und Kollegen weiterhin verstehen, Maschinenzustände akustisch einordnen und Warnrufe wahrnehmen können, während besonders unangenehme hochfrequente Geräusche deutlich abgeschwächt oder gar nicht wiedergegeben werden. Gehörschutz wirkt damit weniger wie eine Decke, die alles gleichmäßig dämpft, sondern eher wie ein Filter, der zwischen relevanten Informationen und belastendem Störlärm unterscheidet.
Für die Einordnung im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung bedeutet das, dass neben klassischen Kennwerten wie SNR zunehmend qualitative Aspekte in den Blick rücken: Kommunikationsfähigkeit, Wahrnehmung von Warnsignalen, subjektive Belastung und die Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme im Arbeitsalltag tatsächlich dauerhaft genutzt wird.
Akzeptanz und Trageverhalten als zentrale Erfolgsfaktoren
Technische Wirksamkeit und organisatorische Realität
Die Erfahrung aus vielen Betrieben zeigt, dass technische Leistungsdaten allein nicht darüber entscheiden, ob eine Maßnahme im Lärmschutz wirksam ist. Entscheidend ist, ob Beschäftigte den Gehörschutz akzeptieren und über die gesamte Expositionsdauer tragen. Kritikpunkte wie eingeschränkte Kommunikation, Verlust der Orientierung oder das Gefühl, in einer „akustischen Blase“ zu stecken, führen nicht selten dazu, dass Gehörschutz abgesetzt oder nur unzureichend getragen wird.
Aktiver, frequenzselektiver Gehörschutz setzt hier an, indem er Lärmschutz mit einer möglichst intakten akustischen Wahrnehmung verbindet. Die Umgebung bleibt grundsätzlich hörbar, Stimmen sind verständlich, und gleichzeitig werden gerade die Anteile reduziert, die als besonders störend oder belastend empfunden werden. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Schutzmaßnahme sowohl technisch wirksam als auch organisatorisch tragfähig ist.
Vernetzte Arbeitswelt: Kommunikation auch im Lärm sicherstellen
Hinzu kommt, dass viele Arbeitsumgebungen zunehmend vernetzt sind. Smartphones, Funkgeräte, digitale Assistenzsysteme oder betriebliche Apps werden auch in lärmintensiven Bereichen genutzt. Gehörschutz, der sich nahtlos an diese Kommunikationswege anbinden lässt, erfüllt damit eine Doppelfunktion: einerseits als PSA, andererseits als Schnittstelle zur betrieblichen Kommunikation.
Lösungen mit Bluetooth-Anbindung oder integrierter Audioübertragung können beispielsweise dazu beitragen, dass Abstimmungen, Rückmeldungen oder Warnhinweise direkt beim Träger ankommen, ohne dass der Gehörschutz abgenommen werden muss. Aus arbeitsschutzfachlicher Sicht entsteht damit ein zusätzlicher Nutzen, der über den reinen Lärmschutz hinausgeht.
Praxisbeispiel: Aktiver Kapselgehörschutz mit frequenzselektiver Steuerung
Ein Beispiel für diese Entwicklung ist ein aktiver Kapselgehörschutz wie der Synergy DR von Hellberg Safety. Das System kombiniert mehrere Funktionsebenen, die im Kontext der Arbeitssicherheit relevant sind:
- Bluetooth-MultiPoint, um zwei Endgeräte parallel zu koppeln, zum Beispiel Diensthandy und Funkgerät,
- pegelabhängige Mikrofone zur kontrollierten Wiedergabe der Umgebungsgeräusche,
- und zusätzlich integrierten DAB+-Radioempfang, sofern dies betrieblich zugelassen ist.
Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit, das Eingangssignal der pegelabhängigen Mikrofone so zu steuern, dass bestimmte hoch- oder niederfrequente Geräusche nicht wiedergegeben werden. In der Folge bleibt die Umgebung akustisch erfassbar, Stimmen sind verständlich, während beispielsweise der hochfrequente Lärm von Kreissägen oder Gasflaschen deutlich reduziert oder ausgeblendet wird. Das Konzept „aktiver Gehörschutz 2.0“ wird damit konkret erlebbar.
Einordnung in die Gefährdungsbeurteilung
Bei der Bewertung von Lärmbereichen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung kann aktiver, frequenzselektiver Gehörschutz als zusätzlicher Baustein betrachtet werden. Neben der Einhaltung von Grenzwerten rücken weitere Fragen in den Fokus:
- Bleibt Kommunikation im Lärm ausreichend möglich?
- Werden besonders belastende Frequenzbereiche wirkungsvoll reduziert?
- Ist aufgrund der Funktionsweise mit einer hohen Trageakzeptanz zu rechnen?
Damit verschiebt sich der Blick von einer rein technischen Betrachtung der Dämmleistung hin zu einer ganzheitlichen Bewertung, in der auch ergonomische, kommunikative und organisatorische Aspekte berücksichtigt werden. Aktiver Gehörschutz kann so zu einem Instrument werden, das nicht nur das Gehör schützt, sondern die Sicherheit und Handlungsfähigkeit in komplexen Lärmbereichen insgesamt unterstützt.
Fazit: Gehörschutz als gestaltete Sicherheitskomponente
Frequenzselektiver, aktiver Gehörschutz markiert einen Entwicklungsschritt weg von der reinen Schalldämmung hin zu einer bewussten Gestaltung der akustischen Arbeitsumgebung. Indem gefährlicher und belastender Lärm gezielt reduziert, gleichzeitig aber Kommunikation und Wahrnehmung relevanter Signale erhalten bleiben, wächst der Beitrag dieser Systeme zur betrieblichen Sicherheit.
Gerade vor diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, solche Lösungen nicht nur auf Basis von Datenblättern zu beurteilen, sondern im Rahmen von Praxistests direkt in typischen Lärmbereichen zu erproben. Dort zeigt sich am deutlichsten, welchen Unterschied es macht, wenn Lärmschutz nicht mehr nur dämmt, sondern die akustische Realität am Arbeitsplatz aktiv und sicherheitsorientiert mitgestaltet.
Autor :
Hellberg Safety
Eingestellt am 09.12.2025

